Wenn Ihnen die bisherigen CDs von Mural zu kurz waren, ist dieses Album das Richtige für Sie. Denn das Trio erhöht seine bisherige Diskografie auf einen Schlag um drei Scheiben auf insgesamt fünf CDs. Für Murals Kühnheit spricht umso mehr, dass kaum noch jemand CDs kauft. Doch wer »TEMPO« erwirbt, weiß ohnehin, worauf er sich einlässt: Sicher nicht auf ein hohes Tempo; sondern auf drei Stunden freie Improvisation mit Jim Denleys Blas-, Kim Myhrs Saiten- und Ingar Zachs perkussiven Instrumenten, allesamt garantiert Grenzen austestend.
Nun wurde »TEMPO«, wie bereits das vorige Album, wieder in der Rothko Chapel in Houston eingespielt. Es war Murals drittes Konzert in dieser kleinen, aber beeindruckenden Kapelle mitten in der lauten, an Menschen, Autos und blitzenden Wolkenkratzern reichen texanischen Metropole. Ich schreibe das so, weil ich in diesem Sommer selbst die Rothko Chapel besuchte; auch habe ich die Band bereits im Konzert erlebt, kann mir also bestens vorstellen, wie das alles zusammengeht, in diesem Raum, der Stille und innere Reflexion geradezu einfordert, umringt von 14 Rothko-Gemälden, die sich nur in ihren Schwarztönen und Oberflächen unterscheiden. (Peter Gabriel schrieb darüber übrigens das Lied »14 Black Paintings«, und auch Kim Kashkashian veröffentlichte in diesem Herbst ein ECM-Album, mit Cage, Satie und Feldman, das sie in der Rothko Chapel aufgenommen hat.)
Über vier Stunden spielten Mural, ohne Unterbrechung, meditativ und dynamisch, wie man es von Ihnen kennt. Dabei loteten sie die Extreme zwischen dem Kaumhörbaren und dem Driften in Drone-Jazz-Noise genial aus. Man hört, wie sie die über Jahre gewachsene Zusammenarbeit und das stetige gemeinsame Suchen in der Improvisation mit den immer gleichen reduzierten Mitteln zu einer wahren Meisterschaft des Genres gewachsen sind. Die drei CDs bieten zwar nicht den kompletten vierstündigen Auftritt, aber eine hervorragend gekürzte Auswahl von vier Passagen: drei Mal rund 50 Minuten und eine zarte Coda von gut 20 Minuten.
Und Mural bzw. Sofa Music belassen es nicht bei einem einmaligen 3-CD-Album. Zeitgleich veröffentlichen sie eine 4-CD-Edition einer noch minimalistischeren Performance von Keith Rowe und John Tilbury. Die Parallelen und die (wohl gegenseitigen) Beeinflussungen machen die beiden Releases zu einem Meilenstein von außerordentlichem künstlerischen Wagemut in einer Genre-Nische, die regelmäßig sehr viel Beliebiges und weniger Zwingendes als Mural hervorbringt